Sven Ratzel ist immer mit Leidenschaft bei der Sache – ob im Dirigat, in der Planung oder im Einsingen von Teachmes. Im Gespräch erzählt über Musik, Unität und sein Lieblingsessen im Hardenberg.
Was hat dich dazu inspiriert Unität zu gründen?
Ich hab das Gefühl gehabt, dass es in der Berliner Chorlandschaft ein großes offenes Loch gab. Es war so zu sagen die ‚klassische Marktlücke‘. Es gab keinen Chor in Berlin, der einfach so groß ist, dass es ein Zuhause sein kann für Studierende aller Universitäten. Also es gibt bereits sehr große Chöre in Berlin – aber es gab bisher keinen Chor, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, dass er für alle Berliner Studenten ein Chor sein will, noch dazu ein Popchor.
Ich habe ja schon seit einigen Jahren verschiedene Chöre, die ich leite. Vor Unität war mir klar: Wenn ich einen neuen Chor gründe, dann einen, den ich auch wirklich haben möchte. Die Frage, die ich mir dabei am Anfang gestellt habe war: „Wie isses, wenn es geil is?“. Mit diesem Leitsatz im Hinterkopf habe ich gewusst, dass ‚das Ding‘ groß sein muss und dafür brauch ich große Kooperationspartner. Wenn ich aber zu einer der Universitäten hingegangen wäre, um die von der Idee zu überzeugen, dann wäre es wieder ’nur‘ der Chor von einer Universität gewesen. Das Einzige, was alle Hochschulen und Universitäten verbindet, ist das Studentenwerk. Ich habe Kontakt aufgenommen und das Projekt vorgestellt und dann ging´s los.
Und somit war Unität geboren.
Zumindest die Idee, genau. Bis zur ersten Probe hat es aber noch ein ganzes Jahr gedauert.
Und jetzt können wir uns Berlin ohne Unität garnicht mehr vorstellen! Aber Du leitest ja auch verschiedene andere Chöre. Findest du bei allen ähnliche Eigenschaften oder unterscheiden sie sich?
Ohja, die unterscheiden sich enorm! Chöre stehen und fallen natürlich mit den Leuten, die darin singen. Ich habe beispielsweise einen Chor, der singt, um sich mittags zu entspannen, ein andrer Chor ist ein Zusammenschluss aus Berliner Psychologen, Psychiatern und Neurologen, die sich dort auch gerne mal austauschen – das Singen ist dort nicht immer die Hauptsache. Natürlich unterscheidet sich dadurch auch die musikalische Handschrift. Jeder Chor entwickelt im Lauf seiner Zeit ein Gesicht, seine eigene Handschrift. Damit muss jeder Chor auch auf spezielle Art angefasst werden.
Dieses Gesicht ändert sich ja auch immer je nach Repertoire. Gibt es bei Unität da einen roten Faden, der dir da vorschwebt?
Meine Idee war musikalisch einen Pop-Chor mit der Energie eines Gospelchores zu haben. Das war so das Schlagwort, was mir so als Klangideal vorgeschwebt war: Hunderte von Leuten , die zusammen singen und dabei ausrasten. Das legt schon ein gewisses Repertoire nahe: Eines, das hoch energetisch ist! Das heißt natürlich nicht, dass keine Balladen oder langsamere Stücke dabei sein dürfen – Energie ist der wichtigste Faktor. Dann ist es auch wichtig, dass die Musik mit der Lebenswirklichkeit der Leute zu tun hat. Sei es, dass es etwas aus ihrer Vergangenheit ist, was sie da kennen und lieben gelernt haben, oder dass es Themen betrifft, die in ihrer Lebensphase gerade aktuell sind. Es gibt aber auch bestimmt Songs, die einfach nur drin sind, weil sie allen gut gefallen (lacht).
Welches deiner persönlichen Lieblingsstücke ließe sich mit Unität nicht umsetzten und warum?
Wahrscheinlich „Your Song“ von Elton John. Es könnte zwar gut klingen, aber in dem Lied ist es eine Einzelperson die etwas erzählt. Das sind meistens Stücke, in denen ein ‚Ich‘ mit einem ‚Du‘ in Verbindung steht – das funktioniert in der Gruppe oft nicht so gut. Stücke mit einem ‚Wir‘ gibt es leider nicht so viele, wobei die natürlich gut in einen Chor passen.
Wenn die Welt irgendwann keine Chorleiter mehr braucht, wofür würdest du dann deine Zeit verwenden?
Ich glaube, eine Welt, die keine Chorleiter mehr braucht, in der möchte ich nicht leben. Wenn ich damit meinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten könnte, würde ich wahrscheinlich weiterhin fotografieren. Außerdem habe ich ja auch Lehramt studiert und könnte mir auch vorstellen irgendwann als Lehrer aktiv zu sein. Ansonsten könnte ich mal wieder mehr Musik schreiben.
Wie stellst du dir die Zukunft von Unität vor?
Ich glaube, der Chor an sich, wenn nicht irgendwas grundschief läuft, hat erst mal kein Ablaufdatum – im Gegenteil, wir haben noch viel vor! Grundsätzlich suchen wir natürlich immer neue Konzertideen. Außerdem freue ich mich darauf, dass wir mit dem Chor bald auf Reisen gehen. Im Moment ist der Chor sehr auf mich als Person fixiert, ich wünsche mir, dass die viele Positionen auch irgendwann mit anderen Personen besetzt werden können. Der Werkstattchor ist dafür eine tolle Möglichkeit.
Ich persönlich habe vor, diese Idee so lange weiter zu begleiten und zu entwickeln, wie nur möglich. Ich möchte das so lange machen wie ich kann. Ein Grund aufzuhören wäre, wenn ich merke, dass ich den Kontakt nicht mehr zu meinen Sängern habe. Also, dass ich vielleicht so alt geworden bin, dass die Lebenswirklichkeit der Singenden mit meiner Lebenswirklichkeit gar nichts mehr zu tun hat. Ich glaube aber, dass ich selbst noch genug Flausen im Kopf habe, dass es bis dahin noch etwas dauert (lacht)!
Was ist dein Lieblingsessen im Hardenberg?
Ich finde es immer ganz gut, dass das wechselt. Das ist wie mit Liedern. Es gibt da welche, die sind absolute Lieblingslieder, aber wenn man sich an einem überprobt hat, dann fängts an fad zu schmecken und dann wir es Zeit, dass man sich ein neues sucht. Auch wenn man immer wieder zu dem Guten und Altem zurückkommt.
Das Gespräch führte Tris
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